„
Wer Liebesromane schreiben will, muss über Gefühle schreiben“ … ich habe diesen Satz irgendwo im Internet gelesen, gestutzt, ihn eine Weile vor mir hergeschoben und ihn schließlich entlarvt.
Da haben wir wieder den Kardinalfehler der Deutschen – sie haben die Lösungen immer schon, wenn sie noch nicht einmal die Grundlagen des Problems erfasst haben. Denn wer behauptet, „über Gefühle zu schreiben“ hat schon eine Definition gebraucht, die so gar nicht zulässig ist – denn zuerst müssten wir fragen: Was sind denn, verdammt noch mal, eigentlich Gefühle?
Die Definition, die mir angeboten wurde, greift viel zu kurz: „
Ein Gefühl ist eine spezifische Reaktion auf eine Wahrnehmung“. Für diejenigen, die sich mit dem Satz nicht näher beschäftigen wollen: Der Formulierung liegt ein vereinfachtes Reiz-Reaktions-Schema zugrunde. Irgendetwas geschieht – und Ihre Figur fühlt etwas.
Sie sehen schon: Das ist viel zu wenig. Denn Ihre Heldin soll ja etwas fühlen,
bevor etwas geschieht,
während etwas geschieht und
nachdem etwas geschehen ist. Nach und nach dürfte klar werden: Es geht bei der Liebe nicht um „Gefühltes“, es geht um das Fühlen selbst.
Die Entwicklung des Fühlens zu beschreiben ist nicht einfach. Ich habe anderwärts geschrieben, dass „
Gefühle“ in unserem Hirn schichtenweise existieren, wobei sie durchaus miteinander verwoben sein können. Das Problem dabei ist: Sie liegen großenteils völlig „analog“, vor allem, was die Liebe betrifft. Analog heißt, dass diese Gefühle nicht vorgeformt in Zeichen existieren. Und sobald sie tatsächlich als Zeichen vorhanden sind, werden sie plakativ. Darin liegt das Problem aller Schriftsteller, denen es um „wahre Gefühlswelten“ geht. Sie sollte dabei durchaus in bester Gesellschaft. Schon Goethe haderte damit.
Warum Sie mit echten Gefühlen Probleme haben können
Lassen Sie mich die Probleme zusammenfassen:
1. Die Gefühle, die bei der Liebe frei werden, sind zum überwiegenden biochemisch gesteuert – sie entziehen sich also unserem freien Willen. Wir können mit ihnen nur schwer umgehen und haben insbesondere keine Worte für sie. Da ist absolut normal. Man nennt solche Gefühle, die nicht wirklich verbal beschrieben werden können, auch analoge Gefühle.
2. Gefühle überlagern einander und sind teilweise miteinander verwoben. Neben der sprachlosen Verliebtheit steht die etwas holprig zu beschreibende „innigliche“ Liebe, aber auch andere Gefühle werden eingewebt, zum Beispiel der Konflikt zwischen Freiheit und Bindung.
3. Liebesromane, die „Emotionen wachrufen“ sollen, handeln im Grunde gar nicht vom Fühlen, sondernd davon, dass ein einziges Gefühl in den Vordergrund gestellt und verkitscht wird.
4. Wer die tatsächliche Gefühlswelt beschreiben will, wird nicht darum herumkommen, die Vielfalt der Gefühle darzustellen, die mit einer Liebe verbunden sind. Das bedeutet aber auch, sich an einen Leserkreis zu wenden, der dies nachvollziehen kann und will. Ohne den Leserinnen von Liebesromanen zu nahe treten zu wollen: Sie bevorzugen Kitsch, den sie problemlos abheulen können, wofür fälschlicherweise das Wort „Mitfühlen“ verwendet wird.
5. Die Kunst, echte Gefühle so umzuschreiben, dass sie tatsächlich transportabel und nachvollziehbar werden, ist nur wenigen Autorinnen und Autoren gegeben. Es ist wesentlich einfacher, Kitsch zu schreiben. Abgesehen davon gibt es für Kitsch einen größeren Leserkreis.
Zusätzliche Probleme entstehen, wenn Sie sehr bewusst erotisch schreiben wollen. Die grundlegenden erotischen Impulse liegen großenteils außerhalb des unmittelbaren Wahrnehmungsbereichs ihrer Figuren. Dazu gehört beispielsweise der gesamte Bereich nonverbaler Kommunikation (analoger Kommunikation), der sich besonders deutlich im Flirtverhalten zeigt: Frauen senden bestimmte nonverbale Zeichen aus, die sie selbst nicht als Aufforderungen erkennen. Wie wollen Sie das beschreiben? Und falls ihre Figuren nun tatsächlich einen gemeinsamen Raum mit einem Bett betreten sollten: Wie beschreiben Sie die Wollust, die sie bewegt, dass zu tun, was sie tun werden – und wie passt die Liebe dazu? Spielt sie überhaupt eine Rolle? Und wenn ja, wie verknüpfen sich beide ineinander? Welche Hoffnungen und Befürchtungen kommen nun auf?
Selbstverständlich geht das alles – aber es erfordert schon eine gewisse Schreib- und Lebenserfahrung, um es zu Papier zu bringen.
Über Gefühle schreiben? Ja, tun Sie es, bitte … aber versuchen Sie dabei doch auch, ehrlich zu schreiben, was ihre Heldin wirklich fühlte – und nicht, was Aschenputtel 2015 fühlen soll, damit ihr Schicksal allen zu herzen geht.